Leseproben

Leseprobe aus ‚Three Night Stand‘

Kapitel 5

„Aufstehen, alter Langschläfer!!“

Die laute, für einen frühen Morgen viel zu fröhliche Stimme ihrer Freundin Karen riss Lisa gewaltsam aus ihrem so schönen Traum. Sie war wieder ein Kind gewesen, hatte sich mit ihrem besten Freund nachts auf einem wundervollen Spielplatz vergnügt – mit schaukeln, auf dem Trampolin herumspringen, wippen und… knutschen?

Sie blinzelte, jetzt nicht nur wegen des hellen Lichts der Sonne, das ihr ins Gesicht fiel, weil Karen die Vorhänge vor dem Fenster weit aufriss, sondern auch wegen ihres Traums. Wenn sie genauer darüber nachdachte, war sie in ihrem Traum gar kein Kind gewesen… und ihr Freund auch nicht…

„Na los! Raus aus den Federn!“

Es wurde unangenehm kühl, als Karen ihr mit einem Ruck die Bettdecke wegzog. Lisa schlang die Arme um ihre Körpermitte und zog die Beine an ihren Körper, etwas ungnädig „Noch zwei Minuten…“ grummelnd. Sie war so gar kein Frühaufsteher…

„Lisa, es ist bereits neun Uhr dreißig“, mahnte Karen sie nun und das genügte, um sie sofort hochfahren zu lassen.

„Was?!“ stieß sie entsetzt aus und ihr Blick flog hinüber zu dem Wecker, der auf dem Nachtschränkchen neben ihrem Bett stand. Der zeigte allerdings eine ganz andere Uhrzeit. Acht Uhr in der Früh. Noch massig Zeit, um sich für ihren ersten offiziellen Arbeitstag und vor allem den sicherlich sehr aufregenden Setbesuch fertig zu machen.

Auf Karens Gesicht lag ein breites Grinsen, als Lisa sich ihr wieder zuwandte und ihr einen bemüht finsteren Blick zukommen ließ.

„Na ja, du hast gestern gesagt, dass ich dich um acht Uhr aus dem Bett jagen soll“, erklärte ihre Freundin ihr Handeln, „und mir die Erlaubnis erteilt, dafür alle Mittel zu benutzen, die mir angebracht erscheinen.“

Sie hatte Recht. Jetzt konnte Lisa sich auch wieder daran erinnern. Sie war gestern nach dem Treffen mit Liam und Nick nicht zurück ins Hotel gefahren, sondern zu Karen und hatte ihrer Freundin ihr viel zu volles Herz ausgeschüttet. Es hatte ihr gut getan, vor allem, da Karen ihr viele brauchbare Ratschläge gegeben und ihr versichert hatte, dass sie sich bei dem Treffen gut geschlagen und alles richtig gemacht hatte. Natürlich hatte sie auch gelacht. Wer hätte das nicht getan? Dazu war diese ganze Geschichte einfach zu absurd. Und Lisa konnte ihr deswegen auch nicht böse sein. Mittlerweile war es ja so, dass sie sogar selbst anfing zu schmunzeln, wenn sie daran dachte. Nur Karens stetiges Nachbohren bezüglich der Details des One-Night-Stands war etwas nervig, weil Lisa sich einfach nicht daran erinnern wollte. Nicht solange sie noch mit Nick zusammenarbeiten musste! Und das musste ihre so schrecklich neugierige Freundin doch langsam einsehen.

„Was wäre denn der nächste Schritt beim Weckdienst gewesen?“ fragte Lisa, nachdem sie erst einmal herzhaft gegähnt hatte, und streckte sich, um auch ihren müden Gliedern Bescheid zu geben, dass es Zeit war, wieder zu arbeiten.

Karens Grinsen wurde noch ein wenig breiter. „Im Waschbecken liegt schon ein mit Wasser getränkter Schwamm“, verkündete sie und Lisa glaubte ihr aufs Wort. Das war auch der Grund, warum sie sich sofort erhob und, immer noch ziemlich schlaftrunken, hinüber zu dem zum Gästezimmer gehörenden Bad taumelte. Dabei ließ sie Karen nicht aus den Augen.

„Du siehst fast ein wenig enttäuscht aus“, stellte sie fest und Karen nickte sofort, während sie ihr folgte.

„Das hätte mir solch einen Spaß gemacht!“

Lisa hielt inne, nicht wegen Karens Worten, sondern weil ihre Freundin auf einmal so interessiert auf einen bestimmte Punkt an ihrem Rücken starrte. „Was ist?“

„Och, nichts“, gab Karen mit einem Schmunzeln zurück, doch ihre Mundwinkel zuckten so verräterisch.

Lisa runzelte misstrauisch die Stirn. „Du siehst aber nicht nach ‚nichts’ aus!“

Da war es, das Grinsen, auf das sie gewartet hatte. „Nur ein fetter Knutschfleck zwischen Nacken und Schulterblatt – nichts Weltbewegendes.“

Lisas Augen wurden ganz groß und sie stürmte ins Bad. Sie wandte dem Spiegel den Rücken zu und versuchte über ihre Schulter zu spähen. Karen hatte sie nicht nur aufgezogen. Da war tatsächlich ein nicht gerade kleines Mal ihrer sündigen Nacht auf ihrer hellen Haut zurückgeblieben. Sie würde diesen Nick umbringen!

Karen blieb schmunzelnd im Türrahmen stehen und musterte sie kurz. „Da hat dich wohl jemand markiert. Ich frag mich nur, in welcher Situation er das gemacht hat… oder besser in welcher Position.“

Oh, ja! Lisa konnte sich auf einmal sehr gut daran erinnern, wann und wie der Knutschfleck entstanden war. Sie konnte beinahe wieder seine Hände auf ihrem Körper fühlen, Hände, die sich in ihr Fleisch gruben, ihre Hüften festhielten, um…

Sie schüttelte ihren Kopf, schloss kurz die Augen. ‚Vergiss das ganz schnell wieder, Lisa! Sonst wird es auch heute wieder ziemlich schwierig, dem Mann ohne knallrote Wangen unter die Augen zu treten.‘

„Du solltest heute auf jeden Fall keinen tiefen Rückenausschnitt tragen“, schlug Karen nun vor, als keine Antwort von Lisa gekommen war.

„Da sind wir uns wohl einig“, seufzte Lisa und wandte sich zu ihr um. „Aber wo wir gerade dabei sind – kannst du mir vielleicht noch einmal ein Kleid oder so borgen? Ich will nicht wieder mit denselben Sachen wie gestern auftauchen.“

„Ich leg dir was raus“, erwiderte Karen nur und trat zurück in das Schlafzimmer. „Nur ein kleiner Rat noch: Check mal aus, wie viele von diesen netten Liebesbissen du noch an deinem Körper hast. Vielleicht musst du dich dann heute eher in ‘ne Burka kleiden.“

„Ha, ha“, machte Lisa nur und schloss einfach die Tür vor der Nase ihrer gackernden Freundin. Im nächsten Moment hatte sie jedoch schon ihr Nachthemd ausgezogen und stand wieder vor dem Spiegel, ihren Körper gründlichst betrachtend. Man wusste ja nie…

 

Ungefähr eine Stunde später trat Lisa, wundervoll nach Seife und einer zarten Note von Flower by Kenzo duftend und in eines von Karens schönen Sommerkleidern gehüllt, in den Wohn- und Küchenbereich des Lofts, das Karen bewohnte. Sie fühlte sich wie neugeboren und strotzte vor Energie und Tatendrang – vor allem, als ihr auch noch der Duft des leckeren Omeletts in die Nase stieg, das Karen gerade zubereitete. 

„Hmmmm – das riecht wirklich toll“, kam es ihr erfreut über die Lippen. Karen wandte sich mit der brutzelnden Pfanne zu dem liebevoll gedeckten Tisch um und ließ das Omelette auf den einzigen Teller gleiten, der dort stand.

„Na, dann setz dich und hau’ rein!“ forderte Karen sie auf.

Lisa kam ihrer Bitte ein wenig zögerlich nach und runzelte die Stirn, als Karen die Pfanne wegstellte und sich auf den anderen Platz setzte, vor dem nur eine dampfende Tasse Kaffee stand.

„Isst du nichts?“ fragte sie erstaunt.

Karen deutete ein Kopfschütteln an. „Ich krieg’ morgens nichts runter. Außerdem esse ich nachher mit den Kollegen aus der Kanzlei zu Mittag.“

Lisa verkniff es sich lieber, sie zweifelnd anzusehen. Sie wollte nicht unhöflich sein, wo Karen sich so rührend um sie kümmerte, seit sie in L.A. war. Aber unterbewusst ärgerte sie sich schon ein wenig darüber, dass ihre Freundin mal wieder ihren Figur-Tick auslebte und ihr damit nicht zum ersten Mal das Gefühl gab, die reinste Fressmaschine zu sein. Dabei war Lisa nicht etwa dick. Sie selbst hätte sich eher als normalgewichtig bis schlank bezeichnet. Sie war nicht sonderlich groß und besaß Kurven, auf die sie eigentlich recht stolz war. Doch wenn sie mit großen, schlanken Frauen, wie Karen unterwegs war, wurde sie oft zum kleinen Moppel degradiert – der sie definitiv nicht war! Und wenn Karen dann wieder einmal nichts aß, während sie reinhaute wie ein Mähdrescher…

„Wann fährst du denn heute zur Arbeit?“ fragte Lisa und griff zu Gabel und Messer, um sich nun doch über das köstlich aussehende Omelette herzumachen.

„Wenn du weg bist“, meinte Karen und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. Sie sah heute schon wieder aus wie ein Model aus einem Katalog für Geschäftsfrauen-Mode, mit ihrem dunklen hochgesteckten Haar, der eng sitzenden Bluse, die einen großzügigen Blick auf ihr Dekolleté freigab, und dem grauen, kurzen Rock. „Ich habe Dave darum gebeten, mir ein paar Stunden am Vormittag für dich frei zu geben. Und da ich ohnehin schon so viele Überstunden habe…“

„Ah so“, meinte Lisa und wich schnell dem Blick ihrer Freundin aus, damit sie nicht bemerkte, dass sie sich nicht wirklich darüber freute. Nick hatte erst vor ein paar Minuten angerufen, als sie noch dabei gewesen war sich umzuziehen (kein wirklich gutes Gefühl in Unterwäsche dazustehen, während seine tiefe, ziemlich angenehme Stimme in ihr Ohr drang) und sich die Adresse von Karens Wohnung durchgeben lassen. Und sie konnte sich nichts Unangenehmeres vorstellen, als draußen in sein Auto zu steigen, während Karen an der Fensterscheibe klebte und das „Prachtexemplar“ von Mann begutachtetet, das es ihrer Freundin „so richtig gut besorgt hatte“. Das waren zumindest gestern ihre Worte gewesen, nachdem sie gemeint hatte, dass sie Nick so gerne mal kennenlernen würde. So im Normalzustand und nicht „total blau, mit seiner Zunge in deinem Hals“.

Lisa konzentrierte sich noch stärker auf das Essen, weil sie genau bemerkte, dass Karen sie kritisch musterte. Ein Happen, zwei Happen… Wie lange würde sie es wohl aushalten? Drei… vier…

„Okay, was genau ist los, Lisa?“ Das war dieser lauernde Ton, den Lisa so gar nicht leiden konnte und der dafür sorgte, dass ihr Kopf noch ein wenig tiefer in Richtung Teller sank. Gleich würde ihre Nase mitessen.

„Hat das was mit dem Telefonat gerade eben zu tun?“

Lisa sah sie nun doch an. „Was für eine Telefonat?“

„Ach, komm schon, ich hab’ doch dein Handy klingeln gehört!“

„Ach, das“, winkte Lisa ab und wich erneut Karens bohrendem Blick aus. „Das war nichts Wichtiges.“

Wieder verging ein wenig Zeit, in der ein paar weitere Happen des leckeren Essens in Lisas Mund verschwanden.

„Du wirst gleich abgeholt – hab’ ich Recht?“ fragte Karen spitzfindig und Lisa hob nun doch wieder den Kopf, nur um zu sehen, wie Karens Augen ganz groß wurden und sie den Mund vor Staunen öffnete.

„Ist es Liam Chandler?!“

„Nein – nein“, beruhigte Lisa sie sofort. „Es ist Nick. Nick holt mich hier ab.“

„Der One-Night-Stand?“

Lisa verzog gequält das Gesicht. „Kannst du ihn bitte nicht so nennen? Sag doch einfach ‚der Drehbuchautor‘!“

Karen sah ein wenig unzufrieden mit dieser Bezeichnung aus. „Das klingt aber so nach…“ Sie runzelte angestrengt die Stirn, während sie nach den richtigen Worten suchte. „… nach Nerd mit Hornbrille und schlaffem Körper, der all das, was er selbst nicht sein kann, in die Figuren hineinschreibt, die er sich ausdenkt.“

„Nicht alle Autoren tragen eine Brille und sind völlig untrainiert, Karen“, gab Lisa ein wenig grummelig zurück. Sie war schließlich auch Autorin und verbrachte viel Zeit an ihrem Computer. Das hieß aber nicht, dass sie keinen Sport trieb.

„Ja, aber kaum einer von denen sieht aus wie der Kerl!“ gab Karen überzeugt zurück. „Der ist, soweit ich mich erinnern kann, ein richtiger Mann, mit Dreitagebart, diesem Feuer in den Augen und… und Haaren auf der Brust!“

„Woher willst du das denn wissen?“ schmunzelte Lisa.

„Ich meine mich zu erinnern, dass sein Hemd auf der Party vorn nicht ganz zugeknöpft war. Außerdem – manchen Männern sieht man es gleich an, dass sie Haare auf der Brust und den richtigen Schwung im Becken haben.“ Karen grinste breit und wackelte mit den Augenbrauen, während Lisa mal wieder tief seufzte.

„Karen du… du bist einfach unmöglich!“

„Aber ich hab’ doch Recht, oder?“ hakte ihre Freundin immer noch breit grinsend nach.

Lisa ergriff ihre Kaffeetasse und wich Karens Blick aus. „Ja, er hat Haare auf der Brust“, antwortete sie schließlich doch noch, nachdem sie einen großen Schluck getrunken hatte, und nur weil sie genau wusste, dass Karen so lange bohren würde, bis sie ihr nachgab. Und schon waren die Bilder wieder da…

Braune Haut, die sich über harte Muskeln spannte und dennoch so weich und glatt unter ihren Fingern war… ihren Fingern, die gierig über seine Brust glitten, hinunter zu diesem straffen Bauch, der sich unter den schweren Atemzügen, die Nick nahm, rasch hob und senkte, ihren Lippen entgegenkam… Ihren Lippen, die ebenfalls immer tiefer wanderten, der Linie feiner Haare folgten, die in seiner nun mehr als eng sitzenden Jeans verschwand. Ihre Finger öffneten nacheinander die Knöpfe der Jeans und ihr eigenes Herz schlug ihr bis zum Hals… Normalerweise tat sie diese eine Sache nicht so gern, aber Nick – er war anders, drängte sie nicht dazu und es törnte sie so wahnsinnig an, wie heftig er auf ihre Berührungen, ihre Küsse und Liebkosungen reagierte, wie wild sie ihn machen konnte. Es war ja nur ein One-Night-Stand. Sie konnte tun, wonach ihr war. Niemand würde später davon erfahren – jedenfalls niemand, den sie kannte…

„Ich meinte eher den Schwung des Beckens“, riss Karen sie aus ihren Erinnerungen und Lisa schoss sofort das Blut ins Gesicht.

„Oh, Karen“, stöhnte sie gequält auf. „Ich kann jetzt nicht darüber reden. Nicht, wenn ich Nick gleich wiedersehe! Ich will das Ganze einfach vergessen!“

Karen sah ein wenig enttäuscht aus, doch sie riss sich ihr zuliebe zusammen. „Okay – wann genau holt Mr. Sexy-Drehbuchautor dich denn hier ab?“

Lisa sah kurz auf ihre Armbanduhr. „In ungefähr fünfzehn Minuten.“

„Gut, dann haben wir ja noch ein wenig Zeit, um kurz noch einmal durchzusprechen, wie du vor all den Haifischen da draußen aufzutreten hast.“

Lisa nickte sofort und pickte rasch die letzten Reste ihres Omeletts auf, bevor sie Karen, die jetzt wieder in die Rolle der professionellen Anwältin geschlüpft war, aufmerksam ansah.

„Also, wie gehst du mit Nick in Zukunft um?“

„Freundlich-distanziert, höflich, aber bestimmt und ich lass mich auf keinen Fall von ihm oder auch Liam Chandler einlullen.“

„Was ist, wenn du dem Regisseur und den Produzenten vorgestellt wirst?“

„Ich bewahre Ruhe und sage mir, dass sie etwas von mir wollen und nicht umgekehrt. Ich bin bereits erfolgreich und habe es nicht nötig, ihnen zu Kreuze zu kriechen.“

Karen nickte zufrieden. „Was ist, wenn sie dich um bestimmte Gefallen bitten, Versprechen von dir haben wollen?“

„Nicht ohne meine Anwältin!“

„Sehr gut“, lobte Karen sie und ihre braunen Augen funkelten fröhlich. „Wenn du mich fragst, kann so heute eigentlich gar nichts mehr schiefgehen. Schon gar nicht so, wie du heute aussiehst.“

Sie lehnte sich mit der Kaffeetasse in ihrem Stuhl zurück und nippte wieder daran, Lisa mit diesem seltsamen Blick musternd, der sie ganz nervös machte. „Mein Kleid steht dir wirklich gut – weißt du das?“ sagte sie schließlich und Lisa sah etwas verwirrt an sich hinab.

„Und du hast dich auch ziemlich sorgfältig geschminkt. Deine Augen wirken riesig.“

„Riesig?“ wiederholte Lisa besorgt.

„Auf eine sehr positive Art und Weise. Audrey-Hepburn-like – verstehst du?“

„D… danke.“ Lisas Mundwinkel zuckten ein wenig, doch ein richtiges Lächeln brachte sie nicht zustande. Ihr Blick war erneut auf ihre Uhr gefallen und ihre Nervosität wuchs nun mit jeder Sekunde, die verstrich. Nick konnte jeden Moment unten an der Tür klingeln. Und vielleicht war er ja sogar einer von der überpünktlichen Sorte.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, du hast dich für jemand zurechtgemacht, dem du unbedingt gefallen willst“, fuhr Karen fort und Lisa sah sie entrüstet an.

„Hab’ ich nicht!“ platzte es viel zu empört aus ihr heraus und die Röte, die sofort in ihre Wangen wanderte, strafte ihre Worte Lügen.

„Ist doch nicht schlimm“, meinte Karen schmunzelnd. „Wie gesagt, den Kerl hätte ich auch nicht von der Bettkante geschubst und ich kann verstehen, dass du ihn gern weiterhin heiß machen willst. Ist doch schmeichelhaft, wenn er dich anstarrt, als würde er dich auf der Stelle mit Haut und Haaren verschlingen wollen. Glaub mir – ich selbst liebe das Gefühl auch!“

„Das… das bezwecke ich aber gar nicht!“ Mein Gott, das Stottern wurde aber langsam zu einer ziemlich lästigen Angewohnheit!

„Ganz davon abgesehen – wenn der Sex so gut war, warum vögelst du nicht einfach weiter mit ihm?“ fuhr Karen fort, als hätte Lisa soeben gar nichts gesagt. „Das könnte eure Zusammenarbeit immens entkrampfen.“

Lisa brauchte einen Moment, um diese Bemerkung zu verarbeiten, ohne albern nach Luft zu schnappen. „Ich dachte, ich soll distanziert sein?“ brachte sie schließlich einigermaßen beherrscht über die Lippen. „Hatten wir das nicht gerade noch einmal abgesprochen?“

„Ja, wenn du mit ihm arbeitest, aber in eurer Freizeit könnt ihr doch machen, was ihr wollt. Ihr müsst das halt streng voneinander trennen!“

„Man kann doch nicht mit jemanden Sex haben und dann bei der Arbeit so tun, als ob nichts gewesen wär!“

„Macht ihr das nicht längst?“

Lisa stieß einen gestressten Laut aus. „Ja, aber nur aus einer Notlage heraus. So etwas kann man doch nicht bewusst tun!“

„Wer sagt das? Gott?“ Karen musste über ihren eigenen Witz lachen und grinste dann Lisa breit an. „In meiner Kanzlei halten sich die wenigsten an solche sinnlosen Regeln. Und hast du mal Rachel zugehört, wie es bei ihr im Krankenhaus abgeht?“

„Das ist doch kein Argument!“

„Ach Lisa, Schatz.“ Karen bekam diesen sanften, mitleidigen Blick und rutschte näher an sie heran, um einen Arm um sie zu legen. „Es ist nur so, dass ich genau merke, wie nervös und verkrampft du bist. Und das tut mir einfach leid. Da will ich dir nicht auch noch mit dem dazwischenfunken, was wir vorher abgesprochen haben. Du bist auch nur ein Mensch. Ich denke, dass es weder dir noch deinen Büchern oder unserem Vorhaben schaden wird, wenn du nochmal Sex mit diesem Nick hast. Soll heißen, wenn dir danach ist, tu es! Ich wär’ die Letzte, die dir deswegen ins Gewissen redet. Distanziert kannst du danach trotzdem noch sein. Das wird den Kerl sogar anmachen. Männer sind so.“

Lisa wollte erneut protestieren, doch sie kam nicht mehr dazu, weil genau in diesem Augenblick die Türklingel ertönte. Lisas Herz setzte für ein paar Sekunden aus und hämmerte dann los, als hätte es gleich ein paar Stunden verloren. Sie stand ruckartig auf und hätte wahrscheinlich Karen von ihrem Stuhl gerissen, hätte die sie nicht rechtzeitig losgelassen.

„Das ist er“, stieß sie beinahe atemlos aus und sah sich hektisch nach ihrer Tasche um.

„Könnte aber auch der Postbote sein“, wandte Karen schmunzelnd ein und lief rasch hinüber zur Tür.

Lisa hatte nun endlich ihre Tasche gefunden und folgte der jungen Anwältin mit viel zu weichen Beinen.

„Ja“, meldete Karen sich über die Sprechanlage.

„Ähm – hier ist Nick Jordan“, dröhnte ihnen die Stimme, die Lisa auch schon vorhin so aus dem Takt gebracht hatte, blechern durch den Lautsprecher entgegen. „Ich komme, um Lisa George abzuholen.“

„Okay, ich schicke sie runter“, erwiderte Karen und ließ den Knopf der Sprechanlage wieder los. Ihre Brauen wanderten etwas in die Höhe, genauso wie ihre Mundwinkel. „Hast du gehört? Er ‚kommt‘ schon, wenn er dich abholt…“

„Ha-ha“, machte Lisa nur, bemüht nicht zu lachen, und öffnete die Tür. „Das ist nicht gerade sehr hilfreich, um cool und gelassen zu bleiben.“

Karen verzog ein wenig reuig das Gesicht. „Ich weiß, aber es hat sich so wundervoll angeboten.“

Lisa verdrehte schmunzelnd die Augen und wandte sich der Treppe zu.

„Du machst das schon, Süße“, rief Karen ihr nach, als sie schon den ersten Treppenabsatz erreicht hatte. „Halt die Ohren steif!“

„Und du halt dich vom Fenster fern!“ rief Lisa zurück und meinte das todernst.

 

Natürlich musste sie mit Nick fast zusammenstoßen, als sie aus der Haustür eilte, weil er viel zu dicht davor wartete und sie ein viel zu hohes Tempo drauf hatte. Er hob gerade rechtzeitig die Hände und packte sie an den Oberarmen, als sie vor Schrecken ins Stolpern geriet und ihm buchstäblich entgegen flog, und sorgte so dafür, dass sie zumindest auf den Beinen blieb. Verfluchte Hackenschuhe!

„Uppsala“, musste er auch noch ihre Tollpatschigkeit kommentieren und stellte sie zurück auf ihre Füße, bevor er sie wieder losließ, auf ihrer Haut den warmen Druck seiner Hände zurücklassend. Ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen, während er sie flüchtig musterte.

Verdammt – sah der Kerl gut aus! So wunderschöne blaue Augen, deren intensive Farbe auch noch von der natürlich gebräunten Haut, dem dunklen Haar und dem marineblauen T-Shirt, das er heute trug, hervorgehoben wurde. Und hatte sie jemals zuvor in ihrem Leben einen Mann getroffen, der mit sinnlicheren Lippen beschenkt worden war? Sie schluckte schwer. Schon wieder diese beweglichen Augenbrauen, die seinem Gesicht nun einen fragenden Ausdruck verliehen.

„Krieg ich keins zurück?“

Sie blinzelte irritiert. „Was zurück?“

„Ein ‚guten Morgen‘?“

Gott, hatte er schon etwas gesagt? Wie peinlich! Sie stieß ein albernes Lachen aus. „Ja, natürlich ich war nur…“

‚… von deinen Augen gefangen?‘ Das konnte sie ja wohl schlecht sagen. Denken Lisa – erst denken, dann sprechen!

„… in Gedanken?“ half er ihr und sie strahlte ihn dankbar an.

„Ja, genau – in Gedanken. An das Buch und den Film und so…“

„Das ist gut“, sagte er lächelnd. „Das zeigt eine gesunde Arbeitseinstellung – etwas, was wir alle momentan ganz dringend nötig haben! Wollen wir?“ Er nickte in Richtung seines Wagens, einen Porsche Cabrio, Modell unbekannt – jedenfalls für Lisa.

„Schickes Auto“, erwiderte sie und lief einfach los, auf den Wagen zu. Interesse für das Auto zu heucheln war auf jeden Fall besser, als die ganze Zeit in diese auf sie so hypnotisch wirkenden Augen zu blicken. „Sieht teuer aus.“

Nick zuckte gleichgültig die Schultern und öffnete ihr dann galant die Tür. „Kann sein. Der gehört eigentlich Liam.“

„Oh.“ Sehr einfallsreich Lisa. Wirklich toll, wie du das heute wieder mit dem Small-Talk hinbekommst. Sie sagte lieber nichts mehr und stieg stattdessen in den Wagen ein. Sie konnte jedoch nichts dagegen tun, dass ihre Augen sofort Nick folgten und viel zu interessiert über seine Gestalt wanderten, als er vorn um den Wagen herumlief. Karen hatte schon Recht. Auch Lisa hatte selten einen Mann gesehen, der bei einem vornehmlich sitzenden Job körperlich in einer solchen Topform war. Er war nicht übermäßig muskulös wie diese Bodybuilder-Typen, die sie oft so widerwärtig fand, sondern einfach nur… athletisch. Wirklich athletisch. Wie er da so vor dem Auto stand und die Muskulatur seines durchtrainierten Oberkörpers sich durch das doch recht eng anliegende Shirt zeichnete, während er nach oben sah… Nach oben sah?!

„Ist das deine Freundin?“ kam nun auch schon die Frage, die sie nicht hören wollte.

Lisa drehte sich ruckartig auf ihrem Sitz herum und sah ebenfalls hinauf zu dem Stockwerk, in dem sich Karens Wohnung befand. Natürlich stand ihre Freundin dort, drückte sich fast die Nase am Fenster platt und wagte es nun auch noch, breit zu grinsen und zu winken.

Lisa sah rasch wieder Nick an, der gerade amüsiert zurückwinkte und dann in den Wagen stieg, Karen dabei nicht aus den Augen lassend.

„Ich kenn’ die nicht“, log Lisa. „Das ist bestimmt nur so eine arme, einsame Frau, die auf irgendeine Weise Anschluss sucht.“

Nick richtete nun doch seinen Blick auf sie und konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. „Okay“, sagte er mit diesem wissenden Blick und Lisa machte sich lieber daran, sich anzuschnallen. Sie mussten hier so schnell wie möglich weg, bevor Karen noch auf die Idee kam, das Fenster zu öffnen und irgendetwas Peinliches zu ihnen hinunter zu rufen. Sie bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Nick sich ebenfalls den Sicherheitsgurt anlegte, lehnte sich zurück und versuchte, sich wieder zu entspannen. Leider startete er nicht sofort den Motor, sondern sah sie wieder an.

„Ich finde das nicht schlimm“, sagte er und zwang sie damit dazu, sich ihm wieder zuzuwenden, dabei fragend die Brauen hebend.

„Was?“

Er druckste ein wenig herum. „Na ja, dass sie darüber Bescheid weiß. Über… du weißt schon…“

‚Nicht rot werden, Lisa. Er nimmt das cool, also kannst du das auch.‘ Bloß, was sollte sie dazu schon sagen? Also lächelte sie ihn nur dümmlich an.

„Damit sind wir irgendwie quitt, oder?“ setzte er hinzu und lachte kurz, doch irgendwie klang das genauso verkrampft, wie sich ihr eigenes Lächeln anfühlte.

Sie nickte und ihre Mundwinkel begannen langsam zu schmerzen. „Ja… und wir könnten dann auch wieder damit anfangen, nicht mehr darüber zu reden“, gab sie zurück und sein Lächeln verschwand sofort, machte einem schuldbewussten Ausdruck auf seinem Gesicht Platz.

„Ja, natürlich…“ Er wandte sich von ihr ab und startete schnell den Motor.

Lisa runzelte die Stirn. Waren seine Wangen tatsächlich ein wenig röter geworden – oder täuschte sie sich? Dann war sie wenigstens nicht die einzige, der die Situation momentan ein wenig unangenehm war. Warum hatte er auch dieses Thema wieder zwischen sie schieben müssen?!

Der Wagen fuhr an und Lisa konzentrierte sich lieber darauf, sich ihre Umgebung anzusehen. So wirklich abgelenkt wurde sie dadurch aber nicht und die Stille, die sich nun zwischen Nick und sie gelegt hatte, war noch viel unerträglicher, als über den One-Night-Stand zu sprechen. Sie hasste es, sich mit jemandem anzuschweigen.

Nick schien es ganz ähnlich zu gehen, denn er schaltete nun das Radio ein und drehte es auf eine für sie recht angenehme Lautstärke. Ein rockiges Stück. Sie mochte es. Es war frech, schwungvoll und mitreißend. Und sie kannte es. Über Musik ließ sich doch ganz gut unverfänglich reden und es war Zeit, die peinliche Pause zwischen ihnen aufzuheben. Leider kannte sie weder den Interpreten noch den Titel, was dieses Unterfangen ein wenig erschwerte. Allerdings gab es da dennoch ein Thema, dass sie anschneiden konnte.

 „Weißt du, was ich witzig an dem Lied finde?“ begann sie ganz salopp. „Dass nie rauskommt, wen er da geküsst hat.“

Nicks Brauen wanderten aufeinander zu, formten ein großes Fragezeichen auf seinem Gesicht. „Wen er geküsst hat?“ wiederholte er etwas irritiert.

„Na ja – I was a teenager and I kissed…“, setzte sie zu einer Erklärung an, den vermeintlichen Songtext zitierend, hielt aber sofort inne, als Nicks Lippen sich augenblicklich zu einem breiten Grinsen verzogen und seine hellen Augen amüsiert aufleuchteten.

Anarchist“, verbesserte er. „Das sind Against Me und er singt ‚I was a teenage-anarchist‘.“

Das tat er tatsächlich. Jetzt, wo Nick das sagte, konnte sie es auch ganz deutlich heraushören. Wie peinlich! Und sie wusste wieder nicht, was sie jetzt noch dazu sagen sollte. Dringend merken: Nicht versuchen eine peinliche Pause mit einer noch viel peinlicheren zu überbrücken!

„Du hast es nicht so mit der Richtigkeit von Songtexten, oder?“ grinste Nick sie nach ein paar Sekunden der Stille zwischen ihnen an und sie runzelte die Stirn. Cool bleiben – locker bleiben…

„Wieso?“

„Na ja, anarchistI kissed und vorher SubstituteProstitute…“

‚Oh, Gott – frag nicht!‘ schrie eine kleine Stimme in ihrem Kopf auf, doch ihr Mundwerk war mal wieder schneller. „Was meinst du damit?“

Er hielt inne, schüttelte den Kopf, wirkte auf einmal ziemlich verlegen. „Ach, nichts…“

„Nick!“ Gut, ihre Stimme klang ein wenig hysterisch, aber das ließ sich jetzt nicht so schnell ändern. „Ich… ich will das wissen!“

 Er konzentrierte sich wieder auf den Straßenverkehr und presste die Lippen zusammen, sodass sie schon das Gefühl befiel, dass er ihrem Flehen nicht nachkommen würde, doch dann räusperte er sich. „Also, da war dieser Song, den sie auf der Party gespielt haben…“

Er warf einen zögerlichen Blick auf sie. „I’ll be your substituute…“ stimmte er kurz an.

Sie musste ihn wohl ziemlich verstört ansehen, denn Nick begann nun verunsichert herum zu stammeln. „Dein kleiner Tanz auf dem Tisch? Du… erinnerst dich nicht?“

Doch – jetzt tat sie es. Die Erinnerung kam mit einer solchen Wucht, dass Lisa nach Luft schnappen musste: Sie auf einem Tisch, die die Arme und Hüften im Rhythmus der Musik schwingen ließ. Unter ihr laut mitsingende, lachende Männer. Nick in ihrer Mitte mit diesem glasigen, lüsternen Blick, den sie in der Nacht noch oft zu sehen bekommen hatte. Und was grölte sie lauter als jeder andere? „I’ll be your prostituuuute…“

„Jetzt schon!“ brachte Lisa schließlich nur noch in diesem Jammerton heraus, barg ihr Gesicht in ihren Händen und sank mit einem verzweifelten Laut nach vorn, sodass ihre Stirn mit einem dumpfen Rumsen auf der Ablage des Autos aufsetzte. Sie schloss die Augen. Das war momentan die einzige Methode, das Gefühl zu bekommen, sich in ein Erdloch verbuddelt zu haben. Wow, sie und diese imaginären Erdlöcher lernten sich allmählich recht gut kennen.

„Das… ähm… weiß ja sonst keiner“, versuchte Nick sie etwas unbeholfen zu trösten. Er wusste ja nicht, dass es schon schlimm genug für sie war, dass er sich erinnerte. Vielleicht sollte sie demnächst besser ein Buch mit dem Titel ‚20 Stufen der Peinlichkeit und wie man sie überwindet, ohne Selbstmord zu begehen‘ schreiben.

„Können… können wir einfach aufhören darüber zu reden?“ brachte Lisa gedämpft zwischen ihren Fingern hervor.

„Okay.“

Sie hörte, wie er rasch den Musiksender wechselte. Irgendein Country Song dudelte nun fröhlich vor sich hin.

„Ähm… ich sag’ dir dann bescheid, wenn eine Bodenwelle kommt.“

„Hm-hm“, machte Lisa nur. Nur ein paar Sekunden noch – dann war sie bereit, sich dem nächsten Tag voller Blamagen zu stellen. Wenn das weiter so mit ihnen ging, konnte ihre Zusammenarbeit in den nächsten Wochen noch heiter werden!

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